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Ethik im Design – oder ...

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  • 09.06.2024
  • Quelle: Redaktion

... „wie man dazu kommt, etwas als gut zu beurteilen“

Ethik muss nicht zwingend bedeuten, dass mit ihr Normen gesetzt werden. Ethik ist nicht nur normativ wirksam – und damit auch alles andere als ‚moralinsauer’, vorschreibend oder gar einschränkend. Ethik kann mehr und ist in den ihr eigenen Spielräumen und Gestaltungsmöglichkeiten dem Design erstaunlich nah.

Diese Nähe zeigt sich regelmäßig in der VDID Projektgruppe Ethik und Werte, in deren Rahmen darüber hinaus neuartige, moraltheoretisch relevante Perspektiven entstehen, über die in Zukunft noch genauer berichtet werden sollte. Heute sollen, neben begrifflichen Annäherungen, diese gestalterischen Momente der Ethik skizziert werden – in der Hoffnung, den Blick zu schärfen für die Leistungsfähigkeit von Ethik und Moral. Dies gerade auch vor dem Hintergrund eines aktuell etwas überschießenden Umgangs mit Begriffen wie Haltung, Werte, Moral und auch Ethik.

Ethik und Moral – warum es kein „ethisches Design“ geben kann

Das Moralische erstreckt sich in dem, was man so macht, was sich gehört und was man im Rahmen der Teilnahme am sozialen Miteinander bzw. der Umwelt oder zukünftigen Generationen gegenüber tun und was man besser lassen sollte. Die im Februar verstorbene Philosophin Annemarie Pieper nannte Moral „Ordnungsgebilde, die gewachsene Lebensformen repräsentieren“. Es wird nicht immer trennscharf zwischen Moral und Ethik unterschieden, aber es scheint zweckmäßig, sich der verschiedenen Reflexionsniveaus der zwei Begriffe bewusst zu sein: So wird Ethik meist als die Reflexion des Moralischen aus einer gewissen Metaebene heraus bezeichnet. Ethik ist die Philosophie der Moral.

Insofern fällt die Ethik auch keine Urteile über Handlungen oder deren Ergebnisse – worunter letztlich auch die Produkte gestalterischer Berufsgruppen zu zählen sind. Wenn Ethik die Reflexion auf das moralische Handeln ist, kann das dazugehörige Adjektiv nicht direkt auf Handlungen oder ihre Ergebnisse bezogen werden. So kann es eben auch kein ‚ethisches Design’ geben oder ‚ethische Wasserhähne’. Selbst ‚moralisches Design’ klingt im Deutschen fremdartig, greifbarer wäre eine Formulierung wie ‚moralisch gutes/ empfehlenswertes Design’. Klarer wird dies sicher an einer Formulierung Piepers, die nicht oft genug zitiert werden kann: „Die Ethik sagt nicht, was das Gute in Concreto ist, sondern wie man dazu kommt, etwas als gut zu beurteilen.“

Das Suchende, Fragende an dieser Formulierung bietet in meinen Augen eine bemerkenswerte Verbindung zum Design. Auch hier stellt sich oft die Frage, wie man dazu kommt, z.B. Lebensmittel kühl zu halten, ohne sofort und ausschließlich an Kühlschränke zu denken (Philippe Starck). Im Design hört man eher selten ein ‚so und nicht anders’. In Konzeptionsphasen, aber auch bei so greifbaren Themen wie Materialauswahl oder der Entwicklung neuer Materialien heißt es doch eher: ‚Was wäre, wenn...?’

Ein ‚So und nicht anders’ wirkt normativ, vorschreibend. Die Frage nach dem ‚Was wäre, wenn...’ eröffnet Beschreibungsmöglichkeiten. Der gesamte Designprozess exploriert Möglichkeitsräume. Auf der Suche nach Formen und Wirkmechanismen werden Entscheidungsmöglichkeiten reflektiert und gleichzeitig, häufig eher implizit, auch die Wege, wie man dazu kommt, gute Entscheidungen zu treffen. Diese Wege werden beschrieben unter dem Begriff Designprozess. Es kann eine Art Pendeln, Oszillieren gesehen werden zwischen dem, was entschieden werden muss und dem Weg oder der Weise, wie man die Entscheidungen findet und nachvollziehbar macht. Etwas Vergleichbares findet im Pendeln zwischen Moral und Ethik statt.

Wir können uns zur Moral verhalten – und das hat etwas Gestalterisches! 

Interessant ist die Form, wie Individuen und Moral aufeinandertreffen. Der französische Philosoph Michel Foucault hat dem eine Struktur abgelesen, anhand einprägsamer Begriffe: Menschen werden hineingeboren in existierende Sitten und Gebräuche und bekommen diese in der Erziehung und im sozialen Miteinander vermittelt. Zusammengefasst nennt Foucault diese Normen und Sitten Moralcodes. Wenn man dieses Vorschriftensystem, wie Foucault es nennt, thematisiert; wenn man zunehmend erkennt, dass man manchmal, in bestimmten Kontexten selbst von zentralen Normen abweichen kann oder sogar muss, – dann beginnt man, sich zu diesen Codes zu verhalten. Das nennt Foucault Moralverhalten.

Dies lässt sich auch gestalterisch verstehen. Innerhalb der Handlungsspielräume, die sich in der jeweiligen Situation ergeben, kann ich mein Verhalten zu dem dazugehörigen Moralcode an sich in den Blick nehmen. Ich kann selbst entscheiden, wie ich mich diesen Codes gegenüber führen möchte, wie Foucault es formuliert. Ich kann mein Verhalten gestalten – wenn man einen sehr weiten Begriff von Gestaltung zulässt.

Spätestens an dieser Stelle agiert man nicht mehr nur oder ist – wie es heutzutage angesichts des häufigen Kontaktes zur Actor-Network-Theory genannt wird – Aktant. In dem Moment ist man Moralsubjekt. Das gewählte Verhalten konstituiert dieses Subjekt-Sein mit und immer wieder neu: Indem ich mich heute so und nicht anders verhalte, entwickle/konstituiere ich mich als Subjekt in dieser und nicht in einer anderen Form weiter. Diese Formen des Einwirkens auf sich selbst nennt Foucault Selbstpraktiken und auch Technologien des Selbst. Bei Foucault ist auch etwas Gestalterisches bis Ästhetisches mitgedacht.

Diese Betonung des Subjekts soll nun nicht bedeuten, dass man ständig im stillen Kämmerlein vor sich hin grübeln soll, ganz im Gegenteil: Wenn man die Gestaltbarkeit des Moralverhaltens im Blick hat, bekommt man ebenfalls einen Blick für die Gestaltbarkeit der Moralcodes an sich. Und solange für wichtig erachtet wird, dass es Codes oder Normen geben soll, solange muss man auch über sie reden und streiten können. (So wird auch der Zugang zu grundlegenden Themen wie Freiheit, Menschenwürde und dem ,guten Leben’ immer wieder aktualisiert.) Wenn gewisse Normen und Werte irgendwann nicht mehr angemessen sind, scheint wenig wünschenswert, dass sich die Moralsubjekte permanent um diese verknöcherten Codes herum verbiegen müssen, in Form ihres jeweiligen Moralverhaltens. Einer solchen Notlage entsprang wohl auch Foucaults Konzept. Nicht grundlos finden sich die Ethik-Ansätze des homosexuellen Intellektuellen im Frankreich der 1980er in seinen Büchern über „Sexualität und Wahrheit“.

Ethische Expertise – höchste Zeit, professionelles Mentoring zu etablieren, für Einzelne, Teams, ganze Firmen

Viele Design-Hochschulen haben den Begriff Ethik in ihren Curricula, in begrenzter Seminar- oder Vorlesungszeit. Und doch, es ist dabei vermittelbar, dass diese kurzen Kontakte zur Ethik nicht zwingend dazu dienen müssen, feste Normen für den Designberuf an die Hand zu geben. Es ist möglich, die Unterschiede zwischen normensetzenden (normativen) und beschreibenden (deskriptiven) Ansätzen der Ethik wahrzunehmen. Ebenso erreichen viele Studierende auch einen je eigenen Zugang zur Leistungsfähigkeit von Ethik, indem sie verschiedene grundlegende Ansätze zur Ethik kennen und vergleichen lernen und auf eigene Erfahrungen und Beispiele anwenden.

,Gestandene’ Designerinnen und Designer scheinen dieser Handhabbarkeit der praktischen Ethik gegenüber ebenso aufgeschlossen zu sein, wie die junge Generation. Über Mangel an Bewusstsein für moralische Reflektion kann ich nicht klagen. Der VDID bietet seit Jahren Ansprechpersonen und Expertise sowie regelmäßig Veranstaltungen, Vorträge und Diskussionsrunden. Der VDID Codex scheint eine der wenigen dauerhaften Publikation zur Ethik eines deutschsprachigen Design-Verbands zu sein.

Eine Möglichkeit, Konfliktfälle in Design-Teams oder -Firmen fundiert und professionell zu begleiten, ist allerdings noch nicht etabliert. Dies sollte sich ändern. Neben der Förderung eines beherzten, offenen individuellen Zugangs zum je eigenen Abwägen- und Entscheiden-Können moralisch relevanter Faktoren im beruflichen Alltag, sollte eine ethische Expertise etabliert werden: Wenn eine Konfliktlage zu komplex erscheint oder die Meinungen im Team oder anderer Beteiligter zu stark kollidieren, kann das der Moment sein, in dem (freie) Moralphilosophen und -philosophinnen, eben Ethiker:innen, hinzugezogen werden. In Workshops oder Gesprächen können die Zugänge zur Entscheidbarkeit dargelegt, Handlungsoptionen gegenübergestellt und eine Entscheidungsfindung unterstützt werden – ganz im Sinne der sokratischen Mäeutik. Die begleitende Frage könnte und sollte sein, wie man dazu kommt, etwas als gut zu beurteilen.

Manja Unger-Büttner, Stellvertretende VDID Regionalgruppenvorsitzende, Region 06

Quellen:
Andreas Dorschel: Gestaltung – Zur Ästhetik des Brauchbaren. Heidelberg: Winter Universitätsverlag 2003.
Michel Foucault: Sexualität und Wahrheit. Bd. 2: Der Gebrauch der Lüste. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1993.
Michel Foucault: Technologien des Selbst. Hrsg. v. Martin, Luther/ Gutman, Huck/ Hutton, Patrick. Frankfurt/M.: Fischer 1993.
Annemarie Pieper: Einführung in die Ethik. 7. Aufl., Tübingen: Francke 2017.
Philippe Starck: form, Nr. 151/152. Basel: Birkhäuser 1995.
VDID Verband Deutscher Industrie Designer e.V. (Hrsg.): Codex der Industriedesigner. Leitbild und ethische Werte des Berufsstandes. Berlin: av edition 2012.

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