Forschende Gestaltungspraxis? Practice-Based Research im Industriedesign

Am 30. April 2024 gewann das Projekt „Infused Earth - Praxisbasierte Forschung durch den 3D-Druck Prozess von Lehm“ den Concept Award des Greenproduct Design Preises in der Kategorie „New Material". Dabei wurde in dem Projekt mit Lehm, einem der ältesten Materialien, gearbeitet. „New" lässt sich also nicht auf das Material beziehen, stattdessen geht es vielmehr um die neue Kombination von traditionellem Material und digitaler Fertigungstechnologie und nicht zuletzt um den Einsatz einer unkonventionellen Methode im Design, der Praxis-basierten Forschung.

Was ist Practice-Based Research?

An deutschen Hochschulen wird intensiv diskutiert, wie Design selbst zum Forschungsgegenstand werden kann, hierzu gab es erst im Januar 2024 eine Veranstaltung an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle (Link hier).
Noch gibt es keine einheitliche Antwort - wie so oft im Design existieren stattdessen diverse Herangehensweisen. Als Grundlage für die Arbeit „Infused Earth“, dient folgende Definition „In practice-based research, the creative artifact is the basis of the contribution to knowledge. This method is applied to original investigations seeking new knowledge through practice and its outcomes.“ (Skains 2017: 85). Der Practice-Based Research-Ansatz betrachtet den Designprozess selbst als Forschungsmethode und nutzt praktische Erfahrungen sowie Reflexionen als Erkenntnisquelle. Durch diese enge Verflechtung von Praxis und Reflexion entstehen neue Einblicke und Perspektiven.

Anwendung im Projekt Infused Earth 

Im Projekt Infused Earth wird der Practice-Based Research Ansatz genutzt, um durch praktische Experimente und Anwendungen umfangreiche Erkenntnisse zu gewinnen. Die Durchdringung des Themas erfolgte durch unzählige Experimente, bei denen verschiedene wissenschaftliche Fragen zu den unbekannten Faktoren der Kombination von Material und Fertigung untersucht wurden. Dabei ging es um Einstellungen, den Fertigungsprozess, die Eigenschaften und die Anwendungen von den generierten Lehmelementen. Beispielsweise entstanden neue Fertigungsprozesse, die schon während oder direkt nach dem Druck andere Materialien und Elemente in den Lehm integrieren. Die Eigenschaften des rohen Materials, machen den Lehm biorezeptiv. In einer Vision wurden die Ergebnisse zusammengeführt und aus dem 3D gedruckten Lehm-Strukturen sind Lebensräume für diverse Organismen gestaltet worden, die den urbanen Raum erweitern.

Ein wesentlicher Aspekt der Practice-Based Research ist die Dokumentation und Kommunikation des Prozesses und der gewonnenen Erkenntnisse. Daher begleitet „Infused Earth“ eine 300-seitige Arbeit. Darin sind Arbeitsschritte, Entscheidungen und Erfahrungen sorgfältig dokumentiert, um sie für andere nachvollziehbar und übertragbar zu machen.

Die Practice-Based Research im Projekt "Infused Earth" zeigt, wie durch die enge Verzahnung von praktischem Gestalten und wissenschaftlicher Reflexion völlig neuartige Erkenntnisse und Ansätze entstehen können. Indem die Designprozesse selbst zur Forschungsmethode wurden, konnten die kreativen Potenziale eines altbekannten Materials wie Lehm in einem gänzlich neuen Licht erforscht werden, das generierte Wissen ist am Ende dann doch „New“.

Autorin + Bilder: Marianne Sellmaier

Quellen:
https://www.burg-halle.de/hochschule/information/aktuelles/a/designwissenschaftliches-kolloquium-raum-fuer-experimente-beispielsweise-gestalterisches-forschen-1/
Skains, R. L. (2018). Creative Practice as Research: Discourse on Methodology. Media Practice and Education, 82-97.

• sellmaier.marianne@gmail.com
• Kolloquium Raum für Experimente: Infused Earth
• Infused Earth - Practice based research - Marianne Sellmaier (112 KB)