zurück
Meldungen

Industriedesign ist pures Risikomanagement

Teilen
  • 11.03.2024
  • Quelle: Redaktion

User Experience (UX) und somit auch Industriedesign (ID) ist pures Risikomanagement

Wir haben die Vorstellung im Projekt Unstimmigkeiten in Anforderungen zu klären, mit Kunden zu reden, um Annahmen zu validieren sowie Prototypen zu bauen und diese zu testen. Die Realität ist eine andere. Bei Aufträgen steht das Styling bzw. die reine Formgebung oft noch im Vordergrund.

„You have got to start with the customer experience and work backwards to the technology.“ > Video youtube

Vor 27 Jahren prägte Steve Jobs diesen Satz und immer noch steht in Deutschland die Technik im Vordergrund. Was technische Stakeholder sagen, ist gesetzt und nicht in Frage zu stellen. Ein Klassiker, der zum „Stille-Post-Effekt“ führt.

Es gibt diverse Studien, welche den positiven Effekt der Integration von UX-Prozessen auf Unternehmen belegen. Die bekannteste ist eine Studie von McKinsey: The Business Value of Design. Alle nötigen Fakten liegen vor.

Woran liegt es, dass sich vor allem deutsche Unternehmen mit der Akzeptanz und Integration von UX-Prozessen schwertun? Auf diese Frage gibt es viele unterschiedlichen Antworten.

Ein Aspekt steht für mich im Vordergrund: Designer tendieren dazu, Argumente zu verwenden, die andere Designer überzeugen. Diese Argumente entsprechen unseren Werten und Kriterien, nicht aber denen der Stakeholder. Dadurch bauen wir Hürden auf. Welche rationalen und emotionalen Argumente könnten unsere Stakeholder interessieren?

In den letzten Jahren ist mir aufgefallen, dass Stakeholder in zwei unterschiedliche Richtungen tendieren. Die einen möchten ihr Business voranbringen, innovativ sein und dadurch einen Wettbewerbsvorteil ausbauen. Sie sind eher die Minderheit, denn dazu gehört Mut und eine definierte Risikobereitschaft - sowohl finanziell als auch emotional. Es braucht die Bereitschaft, die eigene Komfortzone zu verlassen. Der zweite Stakeholder-Typ möchte genau diese Zone nicht verlassen. Er ist eher darauf bedacht, so wenig Risiko wie möglich einzugehen, den Status quo zu halten und nur minimale und notwendige Anpassungen vorzunehmen.

Bei beiden Stakeholder-Typen spielt Risikomanagement eine Rolle. UX-Prozesse sind pures Risikomanagement.

Mit unseren iterativen Methoden in unterschiedlichen Phasen im Projektstatus senken wir das Risiko von Fehlentscheidungen und können ein kalkulierbares Risiko antizipieren:

1. Nutzungsanforderung erheben

Im Usability Engineering gibt es 5 Kategorien, die zu abgestimmten Produktanforderungen führen: rechtliche, marktbezogene, organisatorische, fachliche (technische) und die Anforderungen durch den Nutzer.

Zwischen den unterschiedlichen Anforderungen bestehen Abhängigkeiten. Werden also Nutzungsanforderungen den fachlichen Anforderungen unterworfen, ist das Produkt schwer bedienbar. Werden Nutzungsanforderungen nur spärlich erhoben (Stille-Post Thema), wird eventuell das falsche Problem gelöst oder die Lösung passt nicht zur Problemstellung. Aus diesem Grund ist es wichtig, nach dem Projektauftrag direkten Kontakt zu Anwender:innen und deren Arbeitsumgebung zu bekommen, um neutral die Nutzungsanforderungen zu erfassen.

2. Validierung durch Anwender:innen
Annahmen sind in UX-Prozessen erst dann Fakten, wenn sie von Benutzer:innen validiert wurden (ISO-Norm 9142-10). Dies kann in verschiedenen Phasen des Prozesses erfolgen:
· Analysephase: Annahmen über Standardabläufe werden durch halbstrukturierte Benutzerinterviews getroffen.
· Konzeptionsphase: Annahmen über Interaktionskonzepte werden durch Usability-Tests validiert.
· Nach der Entwicklung: Ökosysteme, von denen das Produkt ein Bestandteil ist, können durch eine Vor-Ort-Installation und Befragung validiert werden.
Durch die Vorabvalidierung wird dieses Risiko an verschiedenen Stellen kalkuliert reduziert, bevor das Produkt auf den Markt kommt.

3. Fail Fast
Durch kontinuierliches und iteratives Feedback von Anwender:innen, deren Kontext (z.B. wie gestresst sind diese bei der Erfüllung der Aufgabe) oder Testen von Prototypen können bis dahin nicht erkannte Anforderungen erkannt und mit in die Lösungsfindung fließen.
Für interne Prozesse wächst die Identität mit dem Projekt, wenn Stakeholder in die Lösungsfindung eingebunden werden. Sowohl interne Expert:innen-Runden als auch externe Reviews oder Fokusgruppen sind hier sehr effizient und können von Designer:innen moderiert werden. Fail fast: experiment to speed up your business transformation! | Humanperf

4. Standards für erhöhte Effizienz
ID entwickelt Produktesysteme auf Basis von Standards, die in einem Designsystem (inklusive Styleguide) definiert sind. Dies hat für Unternehmen mehrere wirtschaftliche Vorteile, die nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sind:
· Durch Standards (wiederkehrenden Elemente) entfallen viele Besprechungen, da diese Themen bereits im Designsystem definiert sind.
· wiederkehrenden Elemente sparen Zeit in der Konzeptions- und Entwicklungsphase weil diese bereits technisch evaluiert sind.
· Nutzer:innen erkennen Standard-Interaktionskonzepte und können sich sicher effizienter zurechtfinden.
Alle aufgezählten Punkte führen zu einem sehr kalkulierten Risiko, wenn diese zum richtigen Zeitpunkt im Projekt durchgeführt werden. Die entscheidende Frage an die Auftraggeber:innen ist:
Wie hoch ist das Risiko, wenn in den unterschiedlichen Phasen UX-Prozesse nicht eingehalten werden? Welche Konsequenzen könnte das für das Projekt haben?

Die Risikobewertung liegt bei den Auftraggebenden und somit auch die Verantwortung, ein Risiko einzugehen oder nicht. Es ist wichtig, dieses Vorgehen auch zusammen mit dem Kernteam und den Auftraggeber:innen zu dokumentieren, um später nachvollziehen zu können, an welchem Prozessschritt optimiert werden kann.
Als ID über Risikomanagement zu sprechen statt über Design, macht es gerade technischen Stakeholdern einfacher mit uns zu verhandeln statt Design im Allgemeinen als reine Formgebung abzuwickeln.

Linda Schmidt, VDID Präsidentin

Jetzt Mitglied im VDID werden!

Unabhängig vom breiten Leistungsspektrum für seine Mitglieder, bietet der VDID eine Plattform für den berufsspezifischen Austausch mit kompetenten Kolleginnen und Kollegen. Die Kontakte und die Zusammenarbeit mit Ministerien der Wirtschaft und der Kultur sowie Design-Kooperationen auf regionaler und überregionaler Ebene sind wichtige Stützen des Verbandes.

Nahezu 400 IndustriedesignerInnen haben sich für eine Mitgliedschaft im VDID entschlossen. Und das hat gute Gründe. Werde auch Du Teil unseres Netzwerks!

Mitglied werden
VDID Logo rgb3x