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Futureproof: Durch Industriedesign wünschenswerte Zukünfte gestalten

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  • 08.04.2024
  • Quelle: Redaktion

Die Industrialisierung: technologischer Fortschritt, höhere Produktivität und ein besserer Lebensstandard. Praktisch alle Träume des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts haben sich erfüllt – allerdings, wie wir heute wissen, nicht ohne massive Konsequenzen. Spätestens der Bericht "Die Grenzen des Wachstums" des Club of Rome von 1972 hat dies deutlich gemacht. Auch das Industriedesign als Disziplin der Gestaltung für die Serienproduktion hat seinen Anteil daran. Dies anzuerkennen ist der erste wichtige Schritt, um zu verstehen, wie wir als Designer:innen dazu beitragen können, Teil der Lösung zu werden.

Die Doughnut Economy & der Fußabdruck physischer Produkte

Physische Produkte haben einen Fußabdruck – selbst wenn die Energie in einigen Jahren CO₂-neutral ist, verbrauchen die Fabriken Fläche, Wasser, Rohstoffe und produzieren Abfälle, um nur einige der Faktoren zu nennen. Eines der wichtigsten Modelle zur Charakterisierung der Grenzen, in denen wir nachhaltig leben können, ist die Doughnut Economy. Das Modell besteht zum einen aus den Planetary Boundaries des Stockholm Resilience Centers, die in neun Kategorien beschreiben, ab welchem Belastungsausmaß kritische Schwellenwerte für die Systemstabilität überschritten werden. Andererseits beinhaltet es die Sustainable Development Goals der UN (SDGs), die das soziale Fundament bilden. Die Reduktion des Fußabdrucks eines Produkts ist also kein Selbstzweck, sondern dient dem Erhalt der stabilen Bedingungen des Holozäns, die die menschliche Entwicklung überhaupt erst ermöglicht haben.

Positiven Impact durch Regeneration

Wir müssen also den direkten ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich halten und gleichzeitig einen positiven Impact auf die Kund:innen, Nutzer:innen, die Gesellschaft und unseren Planeten erwirken und damit die soziale Grundlage verbessern sowie das Überschreiten der Planetaren Grenzen rückgängig machen. Als wäre das nicht schwierig genug, muss dies wirtschaftlich erfolgreich sein, um bestehende destruktive Geschäftsmodelle zu verdrängen. Mit dieser Herausforderung beschäftigt sich auch das Konzept der Regenerativen Wirtschaft, dessen systemische Betrachtung zum Nachdenken darüber einlädt, wie ein Produkt über den eigenen Fußabdruck hinaus im Gesamtkontext Positives bewirken kann. So sind E-Bikes beispielsweise durch Akkus, komplexe Elektronik und Carbon-Rahmen kein nachhaltiges Produkt. Wenn sie jedoch Autofahrten ersetzen und sich dadurch mittelfristig die Anzahl der Autos reduziert und Parkplatzflächen entsiegelt werden können, haben sie einen positiven Effekt auf die Gesundheit, Ökosysteme und das Klima. Die relevante Frage lautet also: Welche Produkte brauchen wir und wie sollten sie genutzt werden?

Um diese Frage zu beantworten, ist es hilfreich, darüber nachzudenken, in welcher Welt wir in Zukunft leben wollen. Für die Exploration wünschenswerter Zukünfte hat die Zukunftsforschung ein breites Methodenset entwickelt, aus dem Gestalter:innen schöpfen können. Ist eine wünschenswerte Zukunft gefunden, kann rückwärts gearbeitet werden, um herauszufinden, welche Schritte auf dem Weg dorthin notwendig sind und so Produkt-Service-Systeme zu entwickeln, die dazu beitragen.

Behavioural Design für nachhaltigen Konsum

Designer:innen müssen außerdem Wege finden, um die Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz in die Produktgestaltung einfließen zu lassen, denn sie sitzen an der Schnittstelle, an der die relevanten Entscheidungen getroffen werden. Allerdings erfordern diese häufig eine Veränderung von Gewohnheiten und Konsummustern auf Kundenseite und stellen darüber hinaus viele der klassischen Geschäftsmodelle in Frage, mit denen Unternehmen bisher erfolgreich waren – dazu später mehr. Das Framing von Erfolg als die Ansammlung von materiellem Reichtum und Konsum erschwert, gemeinsam mit der Messung von Wachstum allein anhand des Bruttoinlandsprodukts, das Erreichen der oben genannten Nachhaltigkeitsziele. Die gute Nachricht lautet, dass die gleichen Werkzeuge der Verhaltensökonomie, die uns auf digitalen Plattformen zum Doomscrolling verleiten oder uns das nächste Gadget kaufen lassen, genauso für positive Verhaltensänderungen wie der Etablierung nachhaltiger Konsummuster und Gewohnheiten verwendet werden können. Beispielsweise durch eine farbliche Hervorhebung entsprechender Bauteile, welche die Wartung und Pflege des Staubsaugers erleichtert, oder eine Standardeinstellung der Waschmaschine im Ökowaschgang. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, schon während des Marketings und Vertriebs anzusetzen, zum Beispiel indem Mehrweg und Hafermilch als Standard angeboten werden und nach Einweg und Kuhmilch explizit gefragt werden muss. Die ethische Frage nach bewusster Manipulation stellt sich kaum, wenn man bedenkt, dass wir konstant durch Framing, Standardoptionen, Social Proof und weitere verhaltensökonomische Werkzeuge zum Konsum und klimaschädlichem Verhalten verleitet werden.

Industriedesigner:innen als Schnittstelle

Die erwähnte Schnittstellenfunktion von Designer:innen sorgt dafür, dass wir das gesamte System verstehen müssen, in dem sich ein Produkt oder eine Dienstleistung bewegt. Dafür ist es notwendig, mit sehr viel mehr Stakeholdern zu sprechen und sich entsprechendes Fachwissen anzueignen, um mit Expert:innen auf Augenhöhe diskutieren zu können. Aus diesem Grund beschäftigen sich Designer:innen heute beispielsweise mit der gesamten Wertschöpfungskette von zirkulären Geschäftsmodellen bis hin zur Abfall- und Recyclingwirtschaft, um neue Lösungen zu entwickeln oder Bestehendes zu verbessern. Die scheinbar offensichtlichen Lösungen sind dabei nicht zwangsläufig die nachhaltigsten. So kann je nach Anwendung ein sortenreiner Kunststoff, für den eine funktionierende Recyclinginfrastruktur besteht, nachhaltiger sein als ein mit Holzfasern gefüllter Biokunststoff, der nach seinem Produktleben nicht recycelt werden kann. Um diese komplexen Fragen zu beantworten, hilft die Kommunikationsfähigkeit von Designer:innen dabei, die effizienzgetriebenen Silos bei den Auftraggeber:innen aufzubrechen und in einen interdisziplinären Austausch und Diskurs zu kommen. Um diese Stärken auch bei Auftraggeber:innen einbringen zu können, ist die Platzierung der entsprechenden Expertise entscheidend, denn nur so kann tatsächlich Einfluss auf die Frage „Was wird wie gestaltet?” genommen werden.

Gestaltung der Rahmenbedingungen

Die Frage der Implementierung eines sozial-ökologischen Designs für ein Wirtschaftsunternehmen beinhaltet auch, dass es ökonomisch erfolgreich sein muss. Aktuell werden die Kosten, die durch die Umweltzerstörung entstehen, externalisiert, sind also nicht im Verkaufspreis des Produkts enthalten. Dies ändert sich jedoch zunehmend durch den Gesetzgeber, Beispiele hierfür sind der CO₂-Preis oder das Lieferkettengesetz. Entsprechend sind langfristige Nachhaltigkeitsstrategien sinnvoll, die die Entwicklungen der nächsten Jahrzehnte berücksichtigen. Es gibt jedoch abgesehen von Compliance und den Vorteilen für die Umwelt Gründe, warum Ecodesign einen wirtschaftlichen Vorteil bringt. Diese sind zum Beispiel Kostenreduktionen durch Fortschritte bei der Ressourceneffizienz, Verbesserung der Marktposition durch Innovationen oder Verbesserung des Markenimages. Letztlich bieten auch neue Geschäftsmodelle die Möglichkeit, zirkuläre Produkte wirtschaftlich erfolgreich auf den Markt zu bringen. Die Möglichkeiten reichen von Pay-Per-Use und Mietmodellen über den Verkauf von Verbrauchsgütern bis hin zur Wartung und Instandhaltung des Produkts. Häufig sind es inhabergeführte Unternehmen, die entsprechend langfristige Ziele formulieren können, da sie nicht in dem Maße dem kurzfristigen Stakeholder-Value verpflichtet sind. Dennoch sind wir weit davon entfernt, dass alle entstehenden Kosten auch im Endprodukt enthalten sind.

Mit dem European Green Deal stellt die EU ein regulatorisches Rahmenwerk für die Klimaneutralität bis 2050 auf. Dabei spielen neben den Umwelt- und Klimaaspekten auch Geopolitik und der Zugang zu kritischen Rohstoffen eine Rolle. Diese Regularien werden auch einen großen Einfluss auf unser Berufsfeld entfalten. Daher liegt es auch an uns Designer:innen und Verbänden wie dem VDID, diese notwendigen politischen Rahmenbedingungen mitzugestalten und entsprechende Parteien zu wählen, um ein Produktdesign zu realisieren, das unserer Gesellschaft und unserem Planeten gut tut.

János Adelsberger, VDIDlab

Weitere Literatur:
Club of Rome | Limits to Growth
Doughnut Economics
Planetary Boundaries
UN Sustainable Development Goals
European Commission | European Green Deal
British Design Council | Systemic Design Framework
Zukünfte Gestalten
Green Nudges
Technologieland Hessen | Ecodesign
Springer Link | Nudging for Good?
Conny Bakker | Products that Last
Karine Van Doorsselaer | Ecodesign
UBA | Ecodesignkit
Intuity Media Lab | Futures Literacy

Impressionen

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    Behavioural Design am Beispiel eines Aschenbechers — © János Adelsberger
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    Behavioural Design am Beispiel eines Händetrockners — © János Adelsberger
  • 2304 DoughnutEconomy 1200x600px
    Doughnut Economy — © Doughnut Economics Action Lab
  • 2304 PlanetaryBoundaries 1200x600px
    Entwicklung der Planetaren Grenzen — © Azote for Stockholm Resilience Centre, Stockholm University

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